Du betrachtest gerade Schwule Männer: Was die Wissenschaft über Homosexualität weiß

Homosexualität ist keine Krankheit

Bis 1973 galt Homosexualität in den USA noch als psychische Störung. Die American Psychiatric Association strich sie aus dem Diagnosesystem, weil keine wissenschaftliche Grundlage für diese Einordnung bestand (APA, 2008). Auch die Weltgesundheitsorganisation entfernte Homosexualität 1990 aus der International Classification of Diseases (ICD-10), womit weltweit klar wurde: Schwule Männer sind nicht krank.

Sad Gay Man

Parallel dazu veränderte sich auch das Strafrecht. Während Homosexualität in vielen Ländern lange kriminalisiert wurde, begannen ab den 1970er Jahren zahlreiche Staaten, die einschlägigen Strafgesetze abzuschaffen. In Deutschland etwa wurde der § 175 StGB, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte, 1994 endgültig gestrichen.

Ursachen und Einflussfaktoren

Die Forschung sieht sexuelle Orientierung als das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von genetischen, hormonellen, epigenetischen und pränatalen Faktoren. Eine einzige Ursache genügt nicht — vielmehr modulieren diese Einflüsse gemeinsam die Wahrscheinlichkeit, dass sich jemand homosexuell orientiert.

Genetische Faktoren

Zwillings- und Familienstudien haben gezeigt, dass Gene eine Rolle spielen, aber nicht deterministisch sind. In einer groß angelegten genomweiten Studie wurde ermittelt, dass genetische Faktoren etwa 8 bis 25 Prozent der Varianz im sexuellen Verhalten erklären könnten (Zietsch et al., 2019). Das heißt: Gene erhöhen Wahrscheinlichkeiten, sie legen aber nicht zwangsläufig fest, ob ein Mann homosexuell wird oder nicht.

Hormonelle & pränatale Einflüsse

Hormone im Mutterleib, insbesondere Androgene, greifen in die Gehirnentwicklung ein und können damit später Einfluss auf sexuelle Orientierung haben (APA, 2008). Diese pränatalen hormonellen Modelle gelten als plausibel, sind aber nicht ausreichend, um alle Unterschiede zu erklären.

Darüber hinaus gibt es gut dokumentierte Befunde zum Geburtenreihenfolge-Effekt („fraternal birth order effect“). Dieser Effekt besagt, dass Männer mit älteren leiblichen Brüdern eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, homosexuell zu sein — und das Risiko steigt mit jedem zusätzlichen älteren Bruder. In einer Metaanalyse mit über 7.000 homosexuellen und über 12.000 heterosexuellen Männern fand man einen signifikanten älteren-Brüder-Effekt (Blanchard, 2018)

Regenbogenfahne

Der biologische Mechanismus, der häufig diskutiert wird, ist die mütterliche Immunhypothese: Die Idee ist, dass der Körper der Mutter durch vorherige Schwangerschaften mit männlichen Föten Antikörper gegenüber bestimmten Y-chromosom-assoziierten Proteinen bildet. Bei nachfolgenden männlichen Föten könnten diese Immunreaktionen die neuronale Sexualdifferenzierung beeinflussen (etwa durch Neutralisierung bestimmter Proteine, die für die „maskuline“ Entwicklung wichtig sind) (Bogaert et al., 2017). In einer Studie wurden beispielsweise höhere Antikörperspiegel gegen das Y-verknüpfte Protein NLGN4Y bei Müttern homosexueller Söhne im Vergleich zu Kontrollmüttern beobachtet (Bogaert et al., 2017).

Einige neuere Arbeiten betonen, dass der Effekt nicht strikt linear oder monoton ist und methodische Einschränkungen bestehen. Insbesondere eine kritische Analyse deutet darauf hin, dass der älteren-Brüder-Effekt in manchen Fällen überinterpretiert worden sein könnte (Vilsmeier, Kossmeier, Voracek & Tran, 2023).

Epigenetik & Umwelt

Neben Genen und pränatalen Einflüssen gewinnen epigenetische Mechanismen — also Modifikationen, die nicht die DNA-Sequenz betreffen, sondern die Genregulation beeinflussen — zunehmend Beachtung. Manche Modelle postulieren, dass elterliche epigenetische „Markierungen“ (etwa aus dem gegengeschlechtlichen Elternteil) während der Keimzellbildung oder Embryonalentwicklung überdauern und Einfluss auf sexuelle Orientierung haben könnten (Rice et al., 2012)

Identitätsentwicklung

Neben biologischen Einflüssen untersucht die Forschung die psychologische Entwicklung schwuler Männer. Hall, Dawes und Plocek (2021) zeigen, dass es typische Meilensteine gibt: erste gleichgeschlechtliche Anziehung im Jugendalter, Selbstidentifikation meist im späteren Jugendalter und Coming-out oft im frühen Erwachsenenalter. Diese Prozesse verlaufen individuell, aber die Muster wiederholen sich in vielen Studien.

Schwarzer Jugendlicher, der lächelt

Immer wieder wird gefragt, ob man durch Umwelteinflüsse oder Erziehung schwul werden kann. Die wissenschaftliche Antwort ist eindeutig: Nein. Kein Erziehungsstil, keine familiären Strukturen und keine Kindheitserlebnisse können die grundlegende sexuelle Orientierung eines Menschen dauerhaft „formen“. Zahlreiche Studien haben versucht, Zusammenhänge zwischen elterlicher Fürsorge, Geschwisterkonstellationen oder frühen Beziehungserfahrungen und späterer sexueller Orientierung herzustellen – ohne überzeugende Belege zu finden (APA, 2008).

Sogenannte „Konversions- oder Reparativtherapien“ sollten Homosexualität „heilen“. Die Forschung ist eindeutig: Sie sind wirkungslos und gleichzeitig schädlich. Studien zeigen, dass Männer, die solchen Praktiken ausgesetzt waren, ein signifikant höheres Risiko für Depressionen, Angststörungen, Drogenmissbrauch und Suizidgedanken haben (APA, 2008; Blosnich et al., 2020).

Die American Psychological Association (2008) betont in einem umfassenden Bericht, dass es keinen wissenschaftlichen Beleg für eine Veränderbarkeit sexueller Orientierung durch psychologische oder medizinische Maßnahmen gibt. Stattdessen führt der Versuch, schwule Männer „umzupolen“, häufig zu tiefgreifenden seelischen Schäden.

In vielen Ländern wurden deshalb gesetzliche Verbote solcher Praktiken eingeführt. In Deutschland trat 2020 ein entsprechendes Gesetz in Kraft, das Konversionstherapien bei Minderjährigen und bei Erwachsenen unter bestimmten Bedingungen untersagt. International fordern Fachgesellschaften, solche Praktiken weltweit zu ächten.

Was Umwelteinflüsse allerdings beeinflussen, ist der Umgang mit der eigenen Orientierung. Ein akzeptierendes Umfeld erleichtert es, sich früh zu identifizieren und offen zu leben. Ein feindliches Umfeld dagegen kann dazu führen, dass Männer ihre Gefühle unterdrücken, später ein Coming-out wagen oder innere Konflikte entwickeln. Diese Unterschiede betreffen jedoch nicht das „Ob“ jemand schwul ist, sondern das „Wie“ jemand damit lebt (Conron, 2010).

Fazit

Die Forschung ist eindeutig: Homosexualität ist Teil menschlicher Vielfalt. Ihre Orientierung hat biologische, genetische und hormonelle Grundlagen, wird aber nicht durch Erziehung oder Sozialisation bestimmt (Cook, 2021). Risiken entstehen nicht durch die Homosexualität, sondern durch gesellschaftliche Ablehnung. Wissenschaftliche Erkenntnisse machen klar: Schwule Männer sind keine Ausnahme, sondern ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft.

Quellen

  • American Psychological Association. (2008). Answers to your questions: For a better understanding of sexual orientation & homosexuality.

  • Cook, C. (2021). Sexual orientation and science: Current perspectives.

  • Conron, K. J. (2010). Disparities in health care for LGB populations.

  • Hall, W., Dawes, H., & Plocek, C. (2021). Milestones of sexual identity development among LGB+ people: A systematic review.


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